Ein Jahr nach den hitzigen Lohnverhandlungen im Metallsektor sprechen Gewerkschafter Reinhold Binder und Arbeitgebervertreter Christian Knill über die erzielten Ergebnisse, die Herausforderungen der aktuellen Wirtschaftslage und die Zukunft der Branche.
Sie haben einander bei den extrem harten Verhandlungen zum Metaller-Kollektivvertrag kennengelernt. Wie war der erste Eindruck?Das war ein sehr intensives Kennenlernen. Wir haben Verhandlungen in einer extrem herausfordernden Zeit geführt, und natürlich war auch ein bisschen eine mediale Schlacht dabei.Wir haben uns vorher einmal getroffen. Das wäre sonst wahrscheinlich hart gewesen, wenn wir direkt bei den Verhandlungen aufeinandergekracht wären.
Für Sie waren es 2023 die ersten Lohnverhandlungen als Chef der Metallergewerkschaft. Wie groß war der Druck, Herr Binder?Die Erwartungshaltung an die Gewerkschaft war enorm. Die Inflationsrate im zweistelligen Prozentbereich haben die Menschen gespürt, darüber ist beim Abendessen in der Familie diskutiert worden. Und man darf nicht vergessen: Die Unternehmen haben in den Jahren davor Rekordgewinne eingefahren.Die Voraussetzungen waren außerordentlich schwierig. Die Gewerkschaft hat gefordert, dass wir die Inflation vollständig abgelten.Die Maßnahmen der Regierung haben jedenfalls nicht für Entspannung am Verhandlungstisch gesorgt. Wir haben als Gewerkschaft schon früh gewarnt: Bitte setzt preisdämpfende Maßnahmen, sonst geht uns die Inflation durch die Decke. Die Regierung hat statt auf einen Energiepreisdeckel auf Familienbonus und Teuerungsausgleich gesetzt. Ist das auch ein Scheitern der Sozialpartner?Im Nachhinein muss man sagen: ja. Es ist uns nicht gelungen, mit unseren Appellen etwas zu erreichen. Ideen hat es ja gegeben, wie etwa die Gaskraftwerke bei der Strompreis-berechnung herauszunehmen.Das Grundübel ist das Merit-Order-System. Dass sich der Preis aus der teuersten Energie ergibt, ist ja irre.In China und den USA sind die Energiekosten um 15 Prozent niedriger, das ist einfach ein Wettbewerbsvorteil.Ja. Wir hatten 50 Jahre billiges Gas, jetzt müssen wir neue Quellen erschließen. Das ist der erste Grund, warum wir gravierend an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben.„Meine Meinung ist klar: Die Benya-Formel sollte zu Grabe getragen werden.“Als Grundlage für die Lohnverhandlungen gilt die sogenannte Benya-Formel, (benannt nach dem früheren Gewerkschaftspräsidenten Anton Benya, Anm.). Die Löhne sollen jedes Jahr um die Inflation plus einem Anteil am Produktivitätszuwachs steigen. Geht sich das heute noch aus?Die Diskussion muss man intensiv führen. Als Gewerkschafter werde ich natürlich immer für einen Ausgleich der Teuerung einsetzen. Alles andere bedeutet ja, dass die Arbeit von einem Jahr aufs nächste weniger wert ist.Wir haben in den letzten drei Jahren insgesamt eine Erhöhung von 22,5 Prozent gehabt. Deutschland hat im selben Zeitraum mit neun Prozent abgeschlossen, dafür gab es mehr Einmalzahlungen. Dort ist nicht darüber diskutiert worden, ob die Arbeit weniger wert ist. Es wird niemandem etwas weggenommen. Wir sprechen immer noch davon, wie viel die Leute dazubekommen. Meine Meinung ist klar: Die Benya-Formel sollte zu Grabe getragen werden.Ja. Gerade jetzt laufen die Energiefördermaßnahmen aus, und die Teuerung kommt wieder ungedämpft bei den Menschen an. Dazu kommt, dass bei der wirtschaftlichen Gesamtsituation viele um ihren Job bangen müssen.Im Jahr 2024 haben rund 5000 Menschen in der metalltechnischen Industrie ihren Job verloren. In den Jahren davor haben wir trotz der hohen Preise und trotz hoher Lohnabschlüsse die Beschäftigten halten können.Arbeitgeber-Vertreter Christian Knill (l.) und Gewerkschafter Reinhold Binder (r.) diskutieren mit profil-Redakteur Josef Redl ein Jahr nach den hitzigen Lohnverhandlungen der Metaller über die Lohnabschlüsse in der Industrie.Das sehe ich überhaupt nicht so. Genauso gut könnte man die Arbeitnehmer für die ganze Weltwirtschaftskrise verantwortlich machen. Ich darf daran erinnern, dass es auch Unternehmer gibt, die uns noch vor zwei Jahren erklärt haben, wie die Wirtschaft funktioniert. Da werden bis zuletzt Dividenden ausgezahlt, statt in die Zukunft zu investieren, am Ende steht die Insolvenz.Das ist kein Lehrbeispiel für vernünftiges Wirtschaften, solche Insolvenzen machen mich betroffen.Ich finde es nicht fair, an einem einzelnen Beispiel die gesamte Unternehmerschaft herunterzuziehen. Das vertrage ich gar nicht. Auch das genannte Unternehmen ist vor mehr als 25 Jahren in einer Sanierung von ganz unten wieder aufgebaut worden. Pauschal zu sagen, die Arbeitgeber würden nur gierig ihre Dividenden kassieren und die Arbeitnehmer schlecht behandeln, das geht nicht.Es gibt für mich zwei Typen: Die Gewinnentnehmer und die Unternehmer. Die einen schauen nur aufs eigene Körberl, die anderen sind mit einem Unternehmen auf Jahre oder Generationen verbunden. Wir haben in den letzten zehn Jahren feststellen müssen, dass es auch Vorstände und Geschäftsführer gibt, die nicht einmal wissen, was genau eigentlich produziert wird und wo die Mitarbeiter herkommen.Reinhold Binder, GewerkschafterNeun von zehn Unternehmen in unserer Branche sind Familienunternehme
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