Stefan Jerzy Zweigs Lebensgeschichte ist so einzigartig, dass sie ihm immer wieder entwendet wurde, weil andere damit ihre eigenen Ziele verfolgten. Bis zum Schluss kämpfte der KZ-Überlebende darum, seine Biografie wieder ganz für sich allein zu haben. Anfang Februar starb er 83-jährig in Wien.
Stefan Jerzy Zweigs Lebensgeschichte ist so einzigartig, dass sie ihm immer wieder entwendet wurde, weil andere damit ihre eigenen Ziele verfolgten. Bis zum Schluss kämpfte der KZ-Überlebende darum, seine Biografie wieder ganz für sich allein zu haben. Anfang Februar starb er 83-jährig in Wien.Wenn Stefan Jerzy Zweig von sich erzählte, stieg oft der Zorn in ihm hoch.
Ich hatte Stefan Jerzy Zweig kontaktiert, weil ich ein Porträt über ihn schreiben wollte. Wir trafen uns regelmäßig in Kaffeehäusern nahe seiner Wohnung im 15. Wiener Gemeindebezirk, Zweig konnte stundenlang reden. Er war aufgebracht, zu Recht, denn der Umgang mit seiner so bewegten und dramatischen Lebensgeschichte machte ihm bis zuletzt schwer zu schaffen. Doch von Anfang an.
Im November 1943 wird die Familie in das KZ Skarżysko-Kamienna und Ende Juli schließlich nach Buchenwald deportiert. Dort wird die Familie endgültig getrennt – und die Eltern treffen eine Entscheidung, die dem Sohn aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben rettet. Dem Vater gelingt es, die Mutter zu überzeugen, Stefan mit ihm gehen zu lassen. Helena Zweig und die zwölfjährige Sylwja werden einem Nebenlager zur Zwangsarbeit zugeteilt.
Es ist Bleicher, der sich laut dem Vater um den kleinen Stefan kümmert. Zacharias Zweig wird in einem anderen Teil des Konzentrationslagers untergebracht und darf seinen Sohn jeden Sonntag besuchen. Stefan Jerzy Zweig hatte kaum Erinnerungen an seine frühe Kindheit, doch einige Eigenheiten, die sich auf diese Zeit zurückführen lassen, hat er bis zuletzt nicht abgelegt. Als er sich bei unserem ersten Treffen im Frühling 2022 einen Käsetoast bestellte, bot er mir – zu meiner großen Verwunderung – davon an. Eine seiner ersten Fragen war stets, ob ich Hunger hätte.
Im letzten Moment wird Stefan schließlich doch noch gerettet. Der Revierarzt willigt ein, ihm eine Spritze zu geben, die hohes Fieber auslöst und das Kleinkind transportunfähig macht. Sein Name wird, zusammen mit elf weiteren, von der Liste gestrichen und durch andere ersetzt. Zacharias Zweig gelingt es dennoch, das Kind vor immer neuen Gefahren zu bewahren und den zahlreichen „Evakuierungen“, den sogenannten Todesmärschen, zu entgehen. Am 11. April 1945 befreit die amerikanische Armee das KZ Buchenwald. Zacharias Zweig weint vor Glück, doch da ist auch ein großer Schmerz: Er befürchtet, dass seine Frau und seine Tochter nicht mehr am Leben sind.Doch Zacharias Zweig will die Hoffnung nicht aufgeben.
Er erzählte, wie er Polen mit dem Vater Ende 1946 in Richtung Frankreich verließ. Im Konzentrationslager hatte er sich mit Tuberkulose angesteckt, an der Côte d’Azur verbrachte er mehrere Jahre in Lungenheilanstalten. In Israel finden die beiden eine neue Heimat. Die Verhältnisse sind bescheiden, als Wohnung dient ein kleines Zimmer, doch nach der langen Trennung erlebt der Bub die Jahre mit dem Vater als geradezu paradiesisch.
Stefan Jerzy Zweig liest den Roman in seinem Studentenzimmer. Dass der Vater darin nicht vorkommt, weil Apitz ihn im Vorfeld sterben lässt, findet er unverzeihlich. Apitz hat Zweig ungefragt zur zentralen Figur des wohl erfolgreichsten DDR-Propagandaromans gemacht. Für den jungen Mann ändert sich damit alles.
Immer wieder wird Stefan Jerzy Zweig antisemitisch bedroht und beleidigt. Bei unseren Treffen erzählte er von den antisemitischen Witzen der Arbeitskollegen, berichtete vom Bäcker im Grätzl, der ihm eine Flasche Wasser „mit Gas“ verkaufen wollte, erinnerte sich, wie ein Publikumsgast bei einer Veranstaltung die Shoa mit der „Fristenlösung“ verglich.
Im Spätsommer 1966 fährt ihn Bleichers Chauffeur von Paris nach Berlin. Der Vater, alt und verarmt, bleibt in Israel. Zweig besucht die Filmhochschule in Babelsberg bei Potsdam und lernt seine spätere Frau kennen. Zwar genießt er „Mein Vater war der große Mann“, sagte er bei einem unserer Treffen. Ihm habe er sein Leben zu verdanken. „Er hat alles getan, ich spiele nur eine Nebenrolle.“
In den Archiven der ehemaligen DDR, die bis zur Wiedervereinigung verschlossen waren, finden Historiker nach der Wende die Namenslisten des Kindertransportes von Buchenwald nach Auschwitz vom 26. September 1944. Auf einer ist der Name Stefan Jerzy Zweig durchgestrichen, auf einer anderen Liste steht an seiner Stelle der Name Willy Blums, eines 16-jährigen Sinti-Buben.
Den Autor Hans Joachim Schädlich verklagt er für dessen Roman „Anders“ von 2003. Dem „Buchenwaldkind“ wirft Schädlich darin implizit vor, für Willy Blums Tod verantwortlich zu sein. Eine seiner fiktiven Figuren lässt er sagen: „Wahrscheinlich kann Jerzy Zweig seine wahre Geschichte nicht gelten lassen: dass er lebt, weil statt seiner der Zigeunerjunge Willy Blum ins Gas geschickt wurde.
Für Zweig, der sich seit 30 Jahren gegen die Idee verteidigt hatte, sein Leben dem Tod eines anderen zu verdanken, brachte dieses erst in den 2010er-Jahren aufgetauchte Dokument etwas Linderung. Für Außenstehende mag es grotesk sein, einen Dreijährigen für den Mord an einem Menschen verantwortlich zu machen. Doch Zweigs Wunden saßen tief, und er war bei Weitem nicht der Einzige, der sich verantwortlich gemacht fühlte.
Vor unserem ersten Gespräch hatte er im Internet über mich recherchiert. Am Telefon machte er seinem Unmut über einen Fernsehauftritt Luft, in dem ich die ungarische Regierung kritisiert hatte. Immer wieder führten wir hitzige Debatten über den Zustand der Demokratie in der EU und darüber, was man sagen und wen man kritisieren dürfe.
Österreich Neuesten Nachrichten, Österreich Schlagzeilen
Similar News:Sie können auch ähnliche Nachrichten wie diese lesen, die wir aus anderen Nachrichtenquellen gesammelt haben.
Stefan Kraft: Das fliegende Kraftwerk aus ÖsterreichStefan Kraft schwebt auf „Wolke sieben“, der 30-jährige Salzburger „flatterte“ zum dritten Gewinn des Gesamtweltcups. Warum diese Kristallkugel eine besondere Auszeichnung ist, sie den Blick in...
Weiterlesen »
Wenn das Kind krank ist und Betreuung braucht: Wie Notfallmamas helfenEin Kind ist krank, die Eltern müssen trotzdem arbeiten, ein gesundes Kind will beschäftigt werden, die Eltern sind selbst krank oder ein Kind muss ins Krankenhaus etc. – Situationen, in denen plötzlich Kinderbetreuung notwendig ist, gibt es immer wieder. In Fällen wie diesen springen „Notfallmamas' bei der Betreuung zuhause ein.
Weiterlesen »
Wenn das Kind krank ist: Wie Notfallmamas helfenEin Kind ist krank, die Eltern müssen trotzdem arbeiten, ein gesundes Kind will beschäftigt werden, die Eltern sind selbst krank oder ein Kind muss ins Krankenhaus etc. – Situationen, in denen plötzlich Kinderbetreuung notwendig ist, gibt es immer wieder. In Fällen wie diesen springen „Notfallmamas' bei der Betreuung zuhause ein.
Weiterlesen »
Österliches Kunsthandwerk, Kulinarik und Musik in MödlingBürgermeister Hans Stefan Hintner eröffnete kürzlich gemeinsam mit Kulturstadtrat Stephan Schimanowa das traditionelle Osterhaus im Volkskundemuseum.
Weiterlesen »
12-Jähriger geriet mit Bein zwischen Bahnsteig und fahrende U-BahnDas Kind wurde verletzt ins Krankenhaus gebracht.
Weiterlesen »
Bischof Schwarz: „Das Leben hat das letzte Wort“Alois Schwarz, Bischof der Diözese St. Pölten, über den Wert des Osterfestes, private Bräuche und gemeinsames Feiern.
Weiterlesen »